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Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

27.01.2023

Heute fanden Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft zusammen, um zum Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz den Millionen von Toten zu gedenken, die durch das nationalsozialistische Regime ermordet wurden.

Stadtratsvorsitzender Jens Thomas und Oberbürgermeister Thomas Nitzsche legten eine Kranz nieder. Hier die Worte des OB:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

als wir vor einem Jahr hier zusammen kamen, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, war die Gefahr eines Krieges in der Ukraine bereits real. Seit Wochen ließ Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine Stellung beziehen.

Doch wohl kaum jemand rechnete damit, dass wenige Tage später Russland auf breiter Front einen Angriffskrieg starten würde, der nun bald ein Jahr andauert. Europa blickt seitdem in einen Abgrund, den nach dem Ende des 2. Weltkrieges wohl kaum jemand für möglich gehalten hat.

Der Krieg forderte bisher über 7.000 Opfer unter der Zivilbevölkerung, darunter ca. 500 Kinder. Weit über 10.000 ukrainische Soldaten verloren ihr Leben, die Zahl der getöteten russischen Soldaten reicht je nach Quelle bis an die 100.000 heran. Es ist jedoch auch nicht entscheidend, wie hoch die Zahlen sind, sondern entscheidend ist, dass in Europa ein mörderischer Krieg passiert. Immer wieder gab es Berichte über Kriegsverbrechen, die kaum mehr für möglich gehalten wurden.

Vor wenigen Tagen nun hat die Bundesregierung entschieden, neben der bisherigen umfangreichen militärischen und humanitären Hilfe in einer Allianz mit den europäischen Partnern und den USA Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.

Warum beginne ich meine Rede am „Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus“ mit diesem aktuellen Bezug? Mir geht es an dieser Stelle nicht darum, ob die Lieferung der Panzer richtig oder falsch ist oder ob die Entscheidung früher hätte getroffen werden sollen.

Wichtig ist mir, dass im Abwägungsprozess für politische Entscheidungen in Deutschland immer berücksichtigt werden muss, dass einerseits von deutschem Boden vor 84 Jahren der schlimmste Krieg des 20. Jahrhunderts ausging und mit dem Holocaust eine systematische Menschenvernichtung ungekannten Ausmaßes stattfand.

Andererseits war es der massive Widerstand der Alliierten, der militärische Widerstand, der das nationalsozialistische Regime zum Zusammenbruch brachte. Und die Frage bleibt bis heute unbeantwortet: Hätte ein früheres Eingreifen der Alliierten und weniger Appeasment-Politik die kaum beschreibbaren Verbrechen des Nationalsozialismus verhindern können?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht darum, das Regime Putins mit dem Hitlers gleichzusetzen, sondern es geht darum, angemessen auf das zu reagieren, was heute in der Ukraine passiert. Die deutschen Verbrechen des 20. Jahrhunderts dürfen dabei nicht unbedacht bleiben.

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppe das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Zahl der Todesopfer in diesem Lager beläuft sich auf ca. 1,1 Millionen Menschen, ca. ein Fünftel der insgesamt 5,6 Millionen ermordeten Juden.

Unter den in Auschwitz Ermordeten waren auch ca. 160.000 nichtjüdische Opfer, vorwiegend Sinti und Roma, Polen und Homosexuelle. 900.000 Menschen wurden unmittelbar nach der Ankunft in Gaskammern ermordet, weitere 200.000 starben durch Krankheit, Unterernährung, Misshandlung, medizinische Versuche oder Zwangsarbeit.

Etwa 60.000 Häftlinge wurden vor Ankunft der Sowjetarmee noch „evakuiert“, d.h. zum Teil erschossen und größtenteils auf Todesmärschen nach Westen getrieben. Die Truppen trafen auf etwa 7.000 lebende Häftlinge, von denen viele trotz medizinischer Versorgung in den folgenden Tagen und Wochen an den Folgen der KZ-Behandlung verstarben.

Auschwitz wurde zum Inbegriff des industrialisierten Tötens, des Massenmordes an Juden. Die Sowjetarmee befreite auch die Vernichtungslager Treblinka, Sobidor, Belzec, Chelmmno, Majdanek auf dem heutigen Gebiet Polens und Bronnaja Gora und Maly Trostinez auf dem heutigen Gebiet von Belarus. In diesen Lagern starben geschätzte 1,8 Millionen Menschen, ganz überwiegend Juden. Allein in Treblinka waren es mindestens ca. 900.000 Menschen.

Die Menschentransporte in Zügen rollten aus Ungarn und der Tschechoslowakai, Frankreich, den Niederlanden, Griechenland, Belgien, Jugoslawien, Italien, Norwegen und Deutschland nach Osten.

Ein Drittel der Toten in den Vernichtungslagern, nämlich in Auschwitz, wurde mit Blausäure, Giftgas des Biozid Zyklon B, getötet. In den anderen Vernichtungslagern töteten die Deutschen mittels Kohlenmonoxid, durch Motorenabgase.

Die genannten Zahlen sind unvorstellbar, sie sind menschlich nicht fassbar. Was ist da eigentlich passiert?

Exemplarisch beschrieb Raul Hilberg in seinem Standardwerk „Die Vernichtung der europäischen Juden“ das, was in den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau vor sich ging:



„Nach der Entladung der Deportations-Züge erfolgte die Selektion; Alte, Kranke und gelegentlich auch kleine Kinder wurden bereits auf der Rampe aussortiert. Im Stammlager Auschwitz brachte man die Alten und Kranken auf Lastwagen zu den Gaskammern, kräftige Personen kamen zunächst zum Arbeitseinsatz.

Die Selektion verlief dabei oberflächlich, die Angekommenen wurden an dem Arzt vorbeigetrieben, der in eine von zwei Richtungen wies: entweder zum Arbeitseinsatz oder sofort in die Gaskammer. Auch in den Lagern selbst (zum Beispiel auf dem Appellplatz und im Lager-Lazarett) kam es zu regelmäßigen Selektionen.

Die der Gaskammer zugeteilten Männer und Frauen mussten sich entkleiden, wobei der Eindruck erweckt wurde, dass die Kleider nach dem angekündigten gemeinsamen Duschen zurückgegeben würden. Zur Täuschung, zur Vermeidung von Panik und zur Beschleunigung des Ablaufes behauptete die Wachmannschaft beispielsweise, man solle sich beeilen, da sonst das Wasser in den Duschen oder die Suppe nach dem Duschen kalt würde.

Die Opfer entdeckten in den Gaskammern, dass die vermeintlichen Duschen nicht funktionierten. Nach dem Schließen der Türen löschte die Wachmannschaft die elektrische Beleuchtung.

Ein SS-Mann mit spezieller Gasmaske öffnete den Deckel des Einwurfschachtes an der Decke und schüttete Zyklon-B-Pellets auf den Boden der Gaskammer. Die leicht flüchtige Blausäure gaste aus dem Granulat aus und verteilte sich im Raum.

In Panik stießen die stärkeren die schwächeren Menschen nieder, drängten von der Einwurfstelle weg, stellten sich auf Umfallende und Liegende, um giftgasfreiere Luftschichten zu erreichen. Bewusstlosigkeit oder Tod trat bei den ersten Opfern nahe der Einwurfstelle nach etwa zwei Minuten ein. Das Schreien hörte auf und die Sterbenden fielen übereinander, sofern genügend Platz war. Nach fünfzehn Minuten waren alle in der Gaskammer tot.

Die SS ließ das Gas entweichen und nach etwa einer halben Stunde öffnete das Häftlings-Sonderkommando die Türe. Die Leichen fand man turmartig angehäuft, manche in sitzender und halbsitzender Position, Kinder und ältere Menschen zuunterst.

An der Stelle, wo das Gas eingeworfen worden war, befand sich ein freier Raum, da die Menschen von dort zurückgewichen waren. Eine Häufung von Menschen befand sich gepresst an der Eingangstüre, die sie zu öffnen versucht hatten.

Die Haut der Leichen war rosafarben, teilweise stand Schaum vor den Lippen oder es hatte Nasenbluten eingesetzt. Einige Leichen waren mit Kot und Urin bedeckt, bei manchen schwangeren Frauen hatte die Geburt eingesetzt. Jüdische Sonderkommandos mit Gasmasken mussten zunächst die Leichen an der Tür wegräumen, um sich den Weg freizumachen.

Dann mussten sie die Leichen abspritzen und auseinanderzerren. Sofern den Frauen das Haar noch nicht geschoren worden war, mussten sie es nun schneiden und vor dem Einpacken in Salmiaklösung waschen. In allen Lagern wurden die Körperhöhlen nach versteckten Wertsachen durchsucht, die Goldzähne gezogen. Abschließend wurden die Leichen zu den Krematorien abtransportiert.“



Sehr geehrte Damen und Herren,

so schlimm es ist, auf diese Vergangenheit zu blicken, so wissen wir auch, dass das nur ein Teil des Holocausts war. Mindestens ca. 1,3 Millionen Juden starben bei systematischen Erschießungen. Die meisten von Ihnen wurden in der Nähe ihrer Wohnorte im besetzten Polen, Litauen, Lettland und der Sowjetunion, der heutigen Ukraine, Belarus und Russland ermordet.

Bis Ende 1941, dem Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni, ermordeten die Deutschen ca. 500.000 Juden auf diese Weise, rund ein Fünftel der 2,5 Millionen sowjetischen Juden in den besetzten Gebieten.

Hunderttausende Juden starben in anderen Konzentrationslagern, in Ghettos, bei der Zwangsarbeit.

Der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ wird in Deutschland seit 1996 als Gedenktag begangen. Das Gedenken bezieht alle Opfer des NS-Regimes ein: Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure, Zwangsarbeiter.

Wenn wir heute zusammenkommen, so ist keiner unter uns, der die Diktatur des Nationalsozialismus selbst erfahren hat und gar Opfer dieses Regimes war. 78 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges schließt sich die Möglichkeit, dass uns Überlebende von ihren Erfahrungen unmittelbar berichten können. Doch es gibt eine Vielzahl überlieferter Einzelschicksale, die das geschehene Leid uns zugänglich und nachvollziehbar, vielleicht auch begreifbar machen. Ein persönlicher Bezug kann uns stark machen gegen die Gefahr einer Wiederholung dessen, was damals geschehen ist, und gegen neue, heutige Formen der Unmenschlichkeit.

Auch 78 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz müssen wir uns mit Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auseinandersetzen. Der Versuch des Geschichtsrevisionismus ist latent und die Radikalisierung vor allem in den sozialen Medien sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas, das den Nährboden für Gewalt schafft.

Es braucht unverändert viel Engagement, dass die Ereignisse und Verbrechen des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges nicht vergessen werden. Unverändert braucht es Anstrengung und Bewusstsein, dass wir mit unserem täglichen Handeln für Menschenrechte und Menschenwürde eintreten. Sie sind die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben der Menschheit. Lassen Sie uns hier weiterhin gemeinsam handeln!

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