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Gedenken an den Todesmarsch vom 11. April 1945

14.04.2024

In den Nachmittagsstunden des 11.04.1945 wurden ca. 4.000 geschundene Menschen auf dem letzten Todesmarsch von Häftlingen des KZ Buchenwald quer durch Jena getrieben. Zum diesjährigen Gedenken an diesen dunklen Tag in der Jenaer Geschichte und die Opfer des Marsches gedachten heute bis zu 40 Menschen an vier zentralen Gedenk-Stationen. Der Arbeitskreis „Sprechende Vergangenheit" organisierte zu diesem Zweck eine Fahrradexkursion und verlas eindrückliche Zitate der Häftlinge, die durch Jena getrieben wurden. Die Stationen waren:

  • Stele an der Westseite der Camsdorfer Brücke
  • Einmündung der Schlippenstraße
  • Stele am Angergymnasium
  • Gembdenbachbrücke/ Endstation Straßenbahnlinie 2

Die Rede des Oberbürgermeisters Dr. Thomas Nitzsche:

"Sehr geehrter Herr Noack, sehr geehrter Herr Dr. Rug, sehr geehrte Frau Dr. Horn, liebe Mitglieder des Jenaer Arbeitskreises „Sprechende Vergangenheit, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Jenaer Stadtpolitik, sehr geehrte Damen und Herren,

vor drei Jahren waren wir an diesen Ort zur Einweihung der Stele zusammengekommen, damals noch im September, weil die Corona-Pandemie eine Zusammenkunft im April noch nicht zuließ. Ich freue mich sehr, dass wir uns heute in dieser Hinsicht unbeschwerter versammeln können.

Ich freue mich auch, dass das, was damals angedacht war, das Gedenken an den Todesmarsch am 11. April 1945 durch Jena wieder in das öffentliche Bewusstsein der Stadt zu holen, so gelungen ist. Das ist ganz besonders Ihr Verdienst, lieber Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit, lieber Herr Dr. Rug, liebe Frau Dr. Horn.

Das ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit, zum einen inhaltlich-forschend, zum anderen immer wieder mit öffentlichen Aktionen die Menschen auf ihre Geschichte aufmerksam machend, die Menschen ein wenig wachrütteln und den einen oder anderen vielleicht bewusster an dieser Stele vorbei über die Brücken gehen lassen.

Mit der Stele weihten wir damals auch die kleine Gedenk-Buche hier am Ufer ein, ein Mosaikstein im inklusiven Gedenkprojekt „1.000 Buchen“ zum Gedenken an die Opfer des „Euthanasie“-Programms der Nationalsozialisten zur Beseitigung „unwerten Lebens“. Die Buche ist gut angewachsen und gedeiht – und das Gedenken ist Teil unseres städtischen Gedenkkanons geworden.

Das schöne und für mich besonders begrüßenswerte hier ist, dass das Gedenken von der Zivilgesellschaft, ganz besonders vom Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit getragen wird und von dort immer neue Impulse erhält. Der Fahrradcorso entlang des Leidensweges im Anschluss an die Veranstaltung hier ist ein gutes Beispiel für die Aktionen. Schön, dass so viele gekommen sind, um dabei zu sein.

Am 11. April 1945, vor 79 Jahren, zwei Tage vor der Befreiung Jenas durch Amerikanische Truppen, schleppte sich am Nachmittag ein nicht enden wollender Zug von geschundenen Menschen durch Jena, „(e)in Leidenszug, wie er nicht schlimm genug geschildert werden kann“, beschrieb ein Zeitzeuge. Der letzte Todesmarsch von Häftlingen aus dem KZ Buchenwald wurde quer durch Jena getrieben, bewacht von bewaffneten SS-Männern mit Hundestaffeln.

14 Menschen starben auf dem Weg durch Jena, 14 Menschen wurden ermordet, weil sie nicht mehr konnten oder weil sie versuchten zu fliehen. Sie fanden auf dem Ostfriedhof ihre letzte Ruhestätte, anonym beigesetzt, weil man ihre Namen nicht weiß.

Vor zwei Jahren haben wir auf dem Jenaer Ostfriedhof die neu hergerichtete Grabstätte für die in Jena gestorbenen Todesmarsch-Häftlinge eingeweiht. Im vergangenen Jahr konnte dann in Wenigenjena an der Route des Todesmarsches nicht nur eine weitere Stele, die besonders an den Überlebenden Robert Büchler erinnert, eingeweiht werden. Wir durften aus diesem Anlass sogar seine Tochter Ruth Buchler-Chanach begrüßen, die uns von ihrem Vater berichtete.

Die schrecklichen, nicht wirklich vorstellbaren Qualen, die den Häftlingen damals zugefügt wurden, trieben zigtausende in den Tod. Robert Büchler überlebte, doch sein Leben war von den schlimmen Erfahrungen gezeichnet. Dass er danach so oft nach Deutschland und nach Thüringen kam, um vor allem mit der Jugend im Gespräch zu sein, damit sich die Verbrechen des NS-Regimes nicht wiederholen, kann nicht genug wertgeschätzt werden.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Gedenkorten in unserer Stadt. Neben den Stelen und Denkmälern sind es vor allem die weit über 50 Stolpersteine, die an Opfer der Nationalsozialisten erinnern. Es ist wichtig, dass wir die Verbrechen in ihrer ganzen Breite erforschen und im Bewusstsein bewahren. Die Vielzahl verdeutlicht nicht zuletzt, wie durchdrungen die städtische Gesellschaft vom nationalsozialistischen Gedankengut war und welche Opfer auch hier zu beklagen sind.

Selbst wenn die Zahl der aktiven Täter überschaubar sein mag, so wurden die Verbrechen doch weitgehend hingenommen, viele wurden zu passiven Tätern. Nicht zuletzt der Todesmarsch durch unsere Stadt verdeutlicht dies. Es gab vereinzelte kleine Hilfsaktionen und es gab vor allem viel Wegschauen, es gab abfällige Bemerkungen und Beschimpfungen in Bezug auf die bereits schlimmstens geschundenen Menschen.

Menschen, die den Häftlingen halfen, vielleicht durch Wasser, durch etwas Brot, sie riskierten ihr eigenes Leben. Ich weiß nicht, ob ich in dieser Situation den Mut aufgebracht hätte zu helfen, wie ich mich verhalten hätte. Ich kann nur hoffen, dass ich den Mut gehabt hätte, menschlich zu handeln.

Doch was daraus für mich folgt, ist, dass wir dafür eintreten müssen, dass es nicht wieder dazu kommt. Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Doch Menschenfeindlichkeit und Menschenverachtung gibt es auch heute und dem müssen wir klar entgegen treten. Auch denen, die der Menschenfeindlichkeit und Menschenverachtung das Wort reden, populistisch, unter Verdrehung von Tatsachen, unter Verwendung von Falschinformationen.

Unser plurales demokratisches Regierungssystem ist der beste Garant dafür, die Würde des einzelnen Menschen zu achten. Das muss uns bewusst sein, gerade in diesem Jahr mit sehr entscheidenden Wahlen, die darüber bestimmen, wie es in unserer Stadt, in unserem Land und in Europa weitergeht und welche Strömung tonangebend sein wird.

Das Gedenken an den 11. April 1945, die Vorführung der verbrecherischen und absurden Unmenschlichkeit des KZs auf dem Ettersberg – jetzt mitten in den Straßen von Jena – verbindet unsere städtische Erinnerungskultur mit der Gedenkstätte Buchenwald so wie auch die Verbrechen dort wie hier nicht getrennt betrachtet werden dürfen.

Das Geschehen am 11. April 1945 markierte überdeutlich das unmittelbar bevorstehende Ende der NS-Gewaltherrschaft in unserer Stadt und für die Menschen das Ende des Krieges. Jena war mit Wissenschaft und der Rolle der Universität, mit Kriegstechnologie, mit NS-Parteiideologie, dem System der Zwangsarbeit und vielen anderen Facetten des Verbrechens mit verantwortlich für zwölf Jahre Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und deren Folgen.

Der schreckliche Krieg und die Nazi-Diktatur hatten Mitte April mit dem Einmarsch der US-Armee für Jena zum Glück ihr Ende gefunden. Beide Bedeutsamkeiten des 11. April – die besondere Verbindung zu Buchenwald und der Schlusspunkt nach 12 Jahren Despotie und Terror – haben einen überdeutlich hörbaren Tenor: Konsequentes Eintreten gegen jede Form von Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit, heute wie morgen!

Ich danke Ihnen, dass Sie heute hierher gekommen sind."

 

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